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Der Gentleman: Plädoyer für eine Lebenskunst | Rezension

Der Gentleman: Plädoyer für eine Lebenskunst | Rezension

Der Gentleman sei ausgestorben, tönt es immer wieder in den heutigen, hektischen Tagen. Das Gegenteil sei der Fall, behauptet jedoch der Journalist Martin Scherer. Denn der Gentleman sei ein zeitloses Ideal, das weder Stammbaum noch Wohlstand benötige. Es handle sich um eine Haltung gegenüber der persönlichen Umwelt, ja um eine Geisteshaltung zum Leben allgemein: „Hinter dem Gentleman verbirgt sich – ausdrücklich oder nicht – eine bestimmte Lebenskunst, eine Form der Lebensführung, in der sich in besonderer Weise Reflexion und Erfahrung, stolze Einsamkeit und soziale Kultur verdichten.“

Tugend, Pflicht und Lebenskunst

Was im antiken Griechenland der Philosoph war, im Mittelalter der Ritter und später der Edelmann, gilt uns heute eben als Gentleman. Zu deutsch ist es etwas altmodisch der Ehrenmann, während das englische gentle liebenswürdig und gütig bedeutet. Der Gentleman ist kultiviert, höflich, stilvoll, bescheiden, großzügig, ehrlich und hat auch sonst all das verwirklicht, was man einst Tugenden nannte. Gutes Benehmen ist für ihn ebenso zur zweiten Haut geworden wie gute Kleidung. Er übertreibt und prahlt dabei nicht, Angemessenheit ist seine Devise. Nichts dient der Show, nur was wirklich authentisch ist und nicht nur so scheint, ist wirklich gentlemanlike.

Martin Scherer schreibt dem Gentleman dabei eine stoische Ruhe zu, die mit einer pessimistischen, zumindest nihilistischen Weltsicht einhergeht. Zwar hätte der Gentleman es sich zur Aufgabe gemacht, den Alltag mit all seinen Kleinigkeiten und scheinbaren Belanglosigkeiten als Fest zu zelebrieren. Er ließe sich aber durch eine gewisse Distanziertheit von den Dingen nicht aus der Ruhe bringen, geschweige denn vom Strom der Gefühle übermannen. Hier stößt der Autor an die Gratwanderung des wirklichen Gentlemans, zwischen selbst auferlegter Pflicht und ausgelebtem Ehrgefühl. Gentleman zu sein, sei eine Lebenskunst, stellt Martin Scherer sehr zutreffend fest.

Der Gentleman als Vorbild für alle?

Während die französische Bezeichnung gentilhomme dem Adel vorbehalten bleibt, hat der „englische Gentleman […] als Vorbild den Übergang von einer aristokratischen zu einer demokratischen Gesellschaft mitvollzogen. Er wurde zum kollektiven Diskurs.“ Der Gentleman sei so ein „klassenloses Ideal“ geworden, das auch in einfachen Gesellschaftsschichten vorkomme. „Er ist Spiegel einer Sehnsucht nach Wohlgeratenheit, nach der Humanitas des Menschen.“ So selten der Gentleman in vollkommener Ausprägung also vorkommt, so steht es jedoch heutzutage jedem offen, sich dieses Image zu verdienen.

Der Autor unterschlägt dabei aber, dass der Gentleman wohl nur in der konservativen bis liberalen Gedankenwelt vorkommt. In der Linken hingegen dürfte er als überkommenes Modell der Wohlstandsgesellschaft mit überflüssigen Riten gelten. Einen Punk, der einer Dame die Tür aufhält, ohne ihr Kleingeld im Sinne zu haben, kann man sich auch nur schwerlich vorstellen. Geschweige denn einen Globalisierungsgegner im Anzug, der sich vom Tisch erhebt, wenn eine der anwesenden Frauen aufsteht oder der bei gutem Wein und einer gepflegten Zigarre über Proust philosophiert.

Wissen und Bildung scheint für Martin Scherer überhaupt keine Voraussetzung zum Gentleman-Sein zu sein, auch wenn er seine eigene Belesenheit manchmal etwas aufdringlich klarstellt. Es benötigt also nicht den Mann von Welt, wie es z. B. Winston S. Churchill war, den viele als den letzten wirklichen Gentleman bezeichnen. Stattdessen liegt das ehrbare Verhalten schon in der kleinen Handlung, deren ernst gemeinte Motivation den einen oder anderen Fauxpas entschuldigen ließe.

Bewusst kein Ratgeber

Das Buch grenzt sich gezielt von den zahllosen Ratgebern zu Stil und Persönlichkeit ab und dient selbst auch nicht als ein solcher. Die Lektüre des kleinen Essays macht den Leser auch keineswegs mittels des vermittelten Wissens zum Gentleman. Sie kann aber als Inspiration dienen, mit der Arbeit an sich selbst anzufangen bzw. fortzufahren.

Dadurch wird das Buch ebenso zeitlos wie der Gentleman-Begriff selbst. Denn Hemdkragen, Krawatten und Schuh-Moden mögen sich ändern, das Understatement jedoch nicht. Deswegen kann man auch über die etwas profane Taschenbuch-Aufmachung hinwegsehen. Vielleicht wurde aber auch explizit auf edlen Leineneinband und Lesebändchen verzichtet, damit die inneren Werte alleine überzeugen können.

Der Gentleman als Ideal

Der Gentleman bleibt schließlich ein Ideal, dem wir alle nachstreben können. Paradoxerweise können wir selbst nie sagen, es erreicht zu haben, denn das widerspräche der angemessenen Bescheidenheit des Gentleman. Das Urteil, ob jemand ein Gentleman ist oder ob er wie einer handelt, können also nur andere fällen. „Meist markiert das Prädikat Gentleman eine Außenansicht, eine Hülle, in der Konvention, Manieren und guter Geschmack zusammenkommen. Es versorgt eine nach Gediegenem hungrige Ästhetik mit Assoziationen an eine Welt verbindlicher Codices. Im vagen Bild des geschliffenen Edelmannes artikulieren sich Nostalgie, Sehnsucht und Projektion gleichermaßen.“ Als Gentleman bezeichnet zu werden, ist und bleibt also eine Auszeichnung, eine Art Qualitätssiegel. Und daran wird sich wohl auch so schnell nichts ändern.

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Kommentare (2)

  1. ulrike Walker
    Feb 1, 2017

    Ein wirklich sehr empfehlenswertes Buch und den Blog werde ich gerne verlinken. Herzliche Grüsse

  2. Philipp
    Okt 27, 2009

    Scheint ja doch ein nettes Buch zu sein und für den Preis wird man kein Hardcover erwarten können. ;)

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